Die Orientierungslaufkarte Martinsflue aus dem Jahr 2008 soll für den 4. Nationalen OL vom 10. April 2021 der OLG Biberist SO in neuem Glanz erstrahlen. Was braucht es, damit eine OL-Karte mit einer Fläche von 5km2 im Massstab 1:10’000 «magic» wird?

Die Schreiberin hatte im Frühsommer mit Urs Steiner einen Telefontermin vereinbart und erreichte ihn im Hubewald bei Konolfingen, wo er dabei war eine nächste Karte für seinen Verein, die Orientierungslaufgruppe Norska, aufzunehmen.

Du bist professioneller Kartenaufnehmer und gemäss Homepage OL Norska im Sternzeichen «Kärteler» geboren. Woher rührt deine Leidenschaft für das Kartenaufnehmen und wie lange machst du das schon?

«Ich wurde von meinem Vater und Grossvater inspiriert. So besass mein Vater alle Landeskarten im M. 1:25’000. Karten waren bei uns allgegenwärtig.
Die erste Karte hatte ich schon als Kind gezeichnet. 1975 nahm ich mit 16 /17 Jahren dann die erste richtige Karte auf. Es folgten immer mehr Kartenaufnahmen, aber davon leben konnte ich nicht. Wenn ich kein Geld hatte, konnte ich Taxi fahren und so meinen Lebensunterhalt verdienen. Im Verlaufe der 45 Jahre wurde ich zum professionellen Kartenaufnehmer. Dadurch, dass ich schnell bin beim Erfassen des Geländes und Kartieren, begann es auch zu rentieren. Seit gut 10 – 20 Jahren kann ich vom Kartenaufnehmen leben.»

Was hat sich in dieser Zeit geändert?

«Zu Beginn meiner Kartenaufnahme bin ich noch mit einem Übersichtsplan in den Wald gegangen und habe die Details mehr oder weniger genau eingezeichnet. Damals hatte man die Karten im aufwendigen Offsetdruck hergestellt. Fünf verschiedene Folien mussten in schwarz für die Karte gezeichnet werden. Der hohe Aufwand führte dazu, dass die Karte dann auch 5 – 10 Jahre lang gebraucht wurde.
Pro OL-Bahn musste je eine Druckplatte hergestellt werden, was zusätzlich 40-50 Fr. kostete. Die Druckqualität war besser als heute.
Ab 1990 wurden die Karten digital auf dem Computer gezeichnet mit dem OCAD-Programm. Nun konnte man das Gezeichnete immer wieder ausdrucken und prüfen. Man wurde flexibler. Auch die Bahnen konnten nun mit dem Computer eingezeichnet werden.
Seit 2005 hat Laserscanning die Kartenaufnahme völlig verändert. (Bei Flugaufnahmen wird das Gelände streifenweise mit Laser abgetastet und gescannt.) Es ist zwar einfacher geworden, aber wenn man das Kartieren nicht beherrscht, wird es doch aufwändiger. Mit dem Laserscanning werden sehr viele Details aufgenommen. Kleinste Unebenheiten im Gelände sind ersichtlich. Die Datenvielfalt ist hoch und muss gefiltert werden.»

Du nimmst die zwölf Jahre alte Karte Martinsflue für die OLG Biberist SO erneut auf. Wie gehst du da konkret vor?

«Die alte Karte ist keine Grundlage. Es wäre aufwändiger die alte Karte zu überarbeiten. Sie hilft mir beim Vergleichen der Wegklassierungen, oder zur Kontrolle, damit ich nichts vergesse. Am Computer bereite ich die Grundlage fürs Kartenaufnehmen vor. Jede Höhenkurve ist neu gezeichnet. Mit dem Laserscanning sind die Sachen am richtigen Ort.

Martinsflue Grundlage

Ich habe auf dem Computer 1m Aequidistanz (Abstand zwischen Höhenkurven) eingestellt, so sehe ich das Gelände genauer. (Auf der fertigen Karte beträgt die Aequidistanz dann 5 m). Auf der Reliefschummerung zeichne ich die Wege ein. Wichtig ist auch das Vegetationsbild aus der Vogelperspektive mit Bäumen, Bodenbewuchs und Lichtungen. Mit dem vorbereiteten Ausdruck gehe ich dann ins Gelände. Die Arbeit im Wald ist zentral.»

Wie sieht die zeitliche Planung für diese Kartenaufnahme aus?

«Ich habe dieses Frühjahr ca. 150-200 Stunden in der Martinsflue aufgenommen. So genau kann ich es nicht beziffern. Meine Kartenaufnahmen ergeben eine Mischrechnung.»

OL-Karten sind ja sehr detailgenau dargestellt. In der Martinsflue liegen z. B. viele Findlinge.  Wie behältst du den Blick aufs Ganze und erreichst eine unité de doctrine bei der Aufnahme?

«Wichtig ist die Darstellung! So probiere ich zum Beispiel kleine Unebenheiten bei der Höhenkurvenzeichnung auszugleichen. Ich zeichne parallele Höhenkurven. Die Karte muss leserlich bleiben. Es gilt alles aufzunehmen, aber nicht zu viel, damit es nicht unübersichtlich wird. Mein erster Blick sagt mir, dieser Stein ist deutlich, diese Kuppe auch. So nehme ich sie auf. Es gibt ja auch die Vorgaben der Kartenkommission zur Aufnahme, daran halte ich mich wo immer möglich. So muss ein Stein z.B. 1 m hoch sein für die Aufnahme. Wenn ein einzelner markanter Stein im Gelände liegt, ist es immer sehr schwierig zu entscheiden. Nehme ich ihn nun auf, obwohl er nicht ganz 1 m hoch ist? Bei allem, was man macht, gibt es immer mehrere Möglichkeiten. Je nachdem, wie man sich dem Objekt nähert, sieht man es wieder anders. «Es stimmt einigermassen, oder es stimmt.» Im Wissen darum, dass es vielleicht auch andere Möglichkeiten gäbe. Verschiedene Kartenaufnehmer nehmen verschieden auf. Wichtig ist, dass man eine einheitliche Lösung findet.»

Welche Charakteristika weisst die Martinsflue sonst noch auf?

«Sie ist ein Mittellandwald mit Dickichten. Die geben am meisten zu tun. Die Grünstufen sind zum Teil diffus. Welche Grünstufe ist es? Wo setzt man die Grenze? Die Waldkrone ist dicht. Das Luftbild lässt die Dickichte von oben nicht erkennen. So stehe ich beim Aufnehmen vor einer grünen (Dickicht)-Wand. Wo fängt das Dickicht an, wo hört es auf? Wichtig ist mir, dass die Aufnahme von den Grundlagen her stimmt. Die Sachen am richtigen Ort sind.»

Wo siehst du deine Stärken als Kartenaufnehmer?

«Ich habe eine gewisse Gabe grafisch darzustellen. Typischerweise bin ich ein Künstlertyp. Man kann eine Karte nicht nur technisch aufnehmen. Die Karte muss eine Einheit sein. Mein Herzblut für das Kartieren ist immer noch da. Ich gehe immer den ganzen Tag ins Gelände und nicht nur stundenweise. Am Abend weiss ich dann manchmal nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Es braucht Leidenschaft im wahrsten Sinne.»

Welches bleiben auch für dich die Herausforderungen bei einer Kartenaufnahme?

«Kartenaufnehmen hat viele Parallelen mit Orientierungslaufen. Seit ich professionell Karten aufnehme, brauche ich keine Orientierungsläufe mehr, um meine Emotionen auszuleben! Auch als Kartenaufnehmer kann ich sogenannte Parallelfehler machen. Da muss man Biss haben. Manchmal steht man wie der Esel vor dem Berg: So hat man eine halbe Stunde kartiert und stellt fest, dass es nicht gut ist. Also nochmals! Es ist die Leidenschaft, dass man das Perfekte hinbringt. Und es gibt immer wieder Sachen, die man konstruieren muss wie z. B. Dickichte.»

Martinsflue fertige Karte

Wie geht es nach der Kartenaufnahme weiter?

«Im Frühjahr 2021 werde ich mit dem Bahnleger der OLG Biberist SO nochmals durch das Gelände gehen. Auch Holzerarbeiten im Winter können Korrekturen nötig machen. Danach folgt das Gut zum Druck.»

Herzlichen Dank für das Interview!



Biografisches zu Urs Steiner
Urs Ürsu Steiner, 1958, wohnhaft in Guggisberg, ist in der OL-Szene als Kartenaufnehmer ein Begriff. Die Handschrift seiner Kartenaufnahmen ist gefragt. Der gelernte Töpfer ist seit Jahrzehnten mit dem Orientierungslauf verbunden. So war er Nationaltrainer des Elitekaders Damen. Seit Jahren amtet er als technischer Delegierter für OL-Wettkämpfe. Seine Qualitäten für das Kartenaufnehmen zeigen sich insbesondere auch im anspruchsvollen voralpinen Gelände wie zum Beispiel Seelisberg. «Für die Kartenaufnahme «Seelisberg» brauchte ich schon lange. Da hatte ich mich vergessen, weil es so schön war.»

Das sagt der Wissenschaftler zur Kartenaufnahme
(aus Master Thesis G. Schaad 2017 http://unigis.sbg.ac.at/files/Mastertheses/Full/103226.pdf)

«Die OL-Karte ist eine detaillierte, topographische Karte, die zusätzliche Angaben zur Belaufbarkeit des Geländes enthält. Um die Chancengleichheit bei Wettkämpfen weltweit zu wahren, sind die OL-Karten durch die Internationalen Darstellungsvorschriften ISOM 2000 (International Orienteering Federation, 2000) genormt.

Die ALS-Daten (Airborne Laserscanning-Daten) erleichterten das Kartieren der Höhenkurven stark und ermöglichen dem Kartographen, ein Gebiet schneller zu kartieren. Hingegen ist die Kartierung der Vegetation nach wie vor sehr zeitintensiv. So sind im Schweizer Mittelland die Wälder in den letzten Jahren dichter und die Grünflächen kleinstrukturierter worden. Auf OL-Karten wird bei der Kartierung von Vegetation zwischen dichten Baumgruppen und Bodenbewuchs unterschieden. Die Vegetationsdarstellung auf der OL-Karte ist für den Athleten eine sehr wichtige Information, damit er abschätzen kann, wie gut die frei wählbare Route zwischen den Kontrollposten im entsprechenden Gebiet belaufbar ist.»

22.12.2020 / Jacqueline Bill